Das Parlament: Frau Magwas, etliche Abgeordnete, darunter auch Sie, haben nach dem brutalen Überfall auf den SPD-Europawahlkandidaten Matthias Ecke die „Striesener Erklärung“ unterschrieben. Darin wird unter anderem körperliche Gewalt im Wahlkampf verurteilt. Was läuft schief im Land, wenn es inzwischen so eine Erklärung braucht? Das sollte doch selbstverständlich sein.
Yvonne Magwas: Ja, eigentlich sollte, muss das selbstverständlich sein. Es ist erschreckend, dass es so einer Erklärung bedarf. Was läuft schief? Ein Stück weit können wir auch im Deutschen Bundestag sehen, dass sich die Debattenkultur verändert hat. Sie ist viel rauer geworden, Ordnungsrufe werden von AfD-Abgeordneten quasi als Trophäen betrachtet, mit Diffamierungen werden die Grenzen des Sagbaren verschoben. Es hat viel damit zu tun, dass die AfD das massiv betreibt und zu oft ein Stück weit andere dann auf den Zug aufspringen. So kommt es zu einer überhitzten Diskussionskultur. Und aus Worten werden leider folgend auch Taten.
Das Parlament: Sind die Fälle, über die nun berichtet wird, ein neues Phänomen oder wird gerade nur genauer hingeschaut?
Yvonne Magwas: Ich glaube schon, dass es eine bisher ungekannte Dimension erreicht hat. Klar, auch in früheren Wahlkämpfen wurden Plakate beschädigt. Aber dass es direkte Übergriffe auf Wahlkämpfende und Politikerinnen und Politiker gibt, das hat deutlich zugenommen. Gleiches gilt für Einschüchterungsversuche, für Bedrohungen, Beleidigungen und Sachbeschädigungen. Früher haben wir oft nachts plakatiert, weil es da viel weniger Verkehr gibt und das ja auch die Freizeit der Ehrenamtler ist. Heute muss man der Polizei Bescheid sagen, wenn man plakatiert, egal wann, damit sie sicherheitshalber regelmäßig eine Streife vorbeischickt. Das ist eine neue Qualität. Das ist im Grunde völlig irre!
Das Parlament: Ihre Partei ist in Sachsen im Kommunal- und Europawahlkampf. Was geben Sie den Ehrenamtlichen mit?
Yvonne Magwas: Ich gebe unseren Leuten Vorsichtsmaßnahmen mit auf den Weg. Am besten nicht allein gehen, am besten nicht nachts plakatieren – aber bitte dennoch plakatieren! Wir dürfen uns nicht einschüchtern lassen. Denn das ist das perfide Ziel der Angreifer und der Hetzer. Es ist wichtig, dass im Wahlkampf politische Parteien Bürgerinnen und Bürgern ihre Positionen an Infoständen und auf Plakaten deutlich machen und veranschaulichen – davon dürfen wir uns nicht abbringen lassen.
Das Parlament: Wie gehen Sie selbst mit verbalen Angriffen um und was macht das mit Ihnen?
Yvonne Magwas: Ich nutze die Instrumente des Rechtsstaates. Wir sind eine wehrhafte Demokratie und darum sollte man sich mit Strafanzeigen wehren. Wie geht man damit um? Manchmal bewegt es einen mehr, manchmal weniger. Ich mache mir vor allem Sorgen um die Signalwirkung solcher Angriffe.
Das Parlament: Was meinen Sie damit?
Yvonne Magwas: Das sind keine Angriffe auf die Person, das sind Angriffe auf die Demokratie, Angriffe auf staatliche Institutionen und Verfassungsorgane. Mir macht viel mehr Angst, wie sich das auf das zukünftige Engagement von Kommunalpolitikern oder Wahlkämpfenden auswirkt. Ich weiß, wie schwierig es immer wieder ist, die Kandidatenlisten der Partei für die Stadt-, Gemeinde- und Ortschaftsräte aufzustellen. Viel zu wenige wollen sich engagieren. Nun sagen diese sich: Mich dann auch noch anschreien oder anpöbeln zu lassen, das muss ich mir nicht antun. Das ist nachvollziehbar, aber zutiefst fatal!
Das Parlament: Was kann die Politik im Allgemeinen tun, um das Problem anzugehen? Es gibt Vorschläge, das Strafrecht zu verschärfen.
Yvonne Magwas: Die Vorschläge muss man sich genau anschauen, ich bin da grundsätzlich nicht abgeneigt. Es muss aber vor allem schnellere Verfahren geben. Ich habe selbst schon einige Anzeigen wegen Beleidigung und dergleichen gestellt. Wenn ich dann sehe, dass es bis zur Vergabe eines Aktenzeichens schon ein halbes Jahr dauert, ist das zu lang. Dazu braucht man mehr Personal in der Justiz und bei der Polizei, das ist mir bewusst. In Baden-Württemberg gibt es beispielsweise Schnellverfahren. Das könnte auch ein Rezept für andere Bundesländer sein. Ebenso könnten Schwerpunktstaatsanwaltschaften ein wichtiges Instrument sein. Und die Strafrahmen müssen zudem ausgeschöpft werden gerade in solchen Fällen. Es geht aber auch um den Umgang von uns Demokratinnen und Demokraten untereinander. Wir müssen einen ordentlichen Umgangston behalten, müssen achtsam miteinander sein.
Das Parlament: Nun lebt ein Wahlkampf von Attacken und Zuspitzungen. Welche Grenzen sehen Sie für politische Auseinandersetzungen?
Yvonne Magwas: Wenn es beleidigend wird oder demokratische Wettbewerber zu Feinden erklärt werden, wird es zum Problem. Der zugespitzte Wahlkampf, den man vor vielen Jahren im Bierzelt gemacht hat, ist vielleicht auch nicht mehr das Mittel der Wahl. Die aufgeheizte Stimmung, die es zum Teil in der Bevölkerung gibt, sollte nicht noch mehr befeuert werden.
Das Parlament: Sie erwähnten den raueren Ton im Bundestag, für den die AfD-Fraktion verantwortlich gemacht wird. Haben Sie das Gefühl, dass Ordnungsmaßnahmen des Präsidiums noch eine Wirkung entfalten?
Yvonne Magwas: Es hat schon noch eine gewisse Wirkung. Wir sehen aber auch, dass wir das Ordnungsrecht verschärfen müssen. Ich glaube, man muss beispielsweise viel mehr mit dem Instrument des Ordnungsgeldes arbeiten statt mit dem Ordnungsruf. Die Geschäftsordnungsnovellierung läuft gerade. Koalition und demokratische Opposition sind im Austausch dazu, wir als Präsidium haben Vorschläge vorgelegt. Die Gespräche sind inzwischen in einer sehr konkreten Phase.
Das Parlament: In Thüringen und Sachsen liegt mit der AfD eine Partei in Umfragen vorne, die jeweils vom Landesamt für Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingeschätzt wird. Die Bundespartei gilt als rechtsextremer Verdachtsfall. Trotzdem sind die Umfragen so, wie sie sind. Wie steht es um die Wehrhaftigkeit unserer Demokratie?
Yvonne Magwas: Ein Großteil der Menschen fühlt sich unserer Demokratie sehr eng verbunden. Darum bleibe ich dabei: Wir haben eine wehrhafte Demokratie. Nichtsdestotrotz müssen wir sehr genau schauen, welche Instrumente diese an die Hand gegeben bekommen hat, um dem entgegenzutreten und zu sagen: Stopp! So nicht weiter! Das heißt beispielsweise auch Prüfung des Entzugs der staatlichen Parteienfinanzierung oder eines Verbotsverfahrens.
Das Parlament: In ihrem sächsischen Wahlkreis ist die AfD stark. Was sagen Sie Wählern und Wählerinnen vor Ort?
Yvonne Magwas: Schaut euch an, was sie wollen, etwa den EU-Austritt oder das antiquierte Frauen- und Familienbild. Das kann doch nicht das Ziel vernünftiger Menschen sein. Man muss auch deutlich festhalten, dass es eine rechtsextreme Partei ist – ganz grundsätzlich. Und ich will ganz ehrlich sagen: Man wählt keine rechtsextreme Partei. Auch nicht, wenn man Sorgen hat.
Das Parlament: Deutschland feiert am 23. Mai 75 Jahre Grundgesetz. Haben wir angesichts der Lage Grund zu feiern?
Yvonne Magwas: Ja, das haben wir: 75 Jahre Grundgesetz, knapp 34 Jahre Grundgesetz auch für die neuen Bundesländer. Oftmals wird immer noch davon gesprochen, was Ost und West trennt. Ich bin dafür, mehr darüber zu sprechen, was uns verbindet. Und das tut das Grundgesetz: Als Kompass, als eine Handreichung des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Die Freiheit, die Werte, die Rechte und auch die Pflichten, die in der Verfassung kodifiziert sind – das kann man wahrlich feiern. Noch nie in unserer Geschichte haben wir Deutschen so lang in Frieden, Freiheit und breitem Wohlstand umgeben von Freunden gelebt.
Das Parlament: Wenn Sie sich zum 75. Geburtstag des Grundgesetzes etwas wünschen dürften, was sollte denn noch in die Verfassung?
Yvonne Magwas: Ich würde mir eher wünschen, dass man viel früher mit der Vermittlung des Grundgesetzes beginnt, in den Schulen zum Beispiel. Warum machen wir nicht einen Aktionstag zum Grundgesetz an Schulen?! Der 23. Mai würde sich dafür anbieten. Denkbar wäre auch, dass alle 15- oder 16-Jährigen das Grundgesetz in einer für Jugendliche aufgearbeiteten Form mit einem Anschreiben der Bundestagspräsidentin erhalten. Wir sollten den jungen Menschen noch stärker nahebringen, was das Grundgesetz ausmacht, was Demokratie lebendig macht – und, dass sie von aktiven Demokratinnen und Demokraten lebt.